Etappe 1: Erste Gehversuche als Pilgerin
Hach, herrlich. Um 6 Uhr aufzuwachen von einem Wecker, der nicht meiner ist… Meine Mit-Schläferin aus Mailand hatte schon sehr früh das Zimmer verlassen, um mit dem Flixbus nach Lissabon zu fahren. Ich bin dann auch einfach aufgestanden und habe mich fertig gemacht. Ich dachte ich gönne mir mal noch den Luxus, Mascara zu benutzen. Ich habe dann versucht, leise meinen Rucksack zu packen, um die anderen nicht zu wecken. Das ist mir leider nicht gelungen. Rucksack packen war noch nicht mein Spezialgebiet, eine wirkliche Technik hatte ich auch nicht.
Mit meinem komisch geformten Rucksack auf dem Rücken wollte ich eigentlich nur an der Rezeption die Zimmerkarte abgeben, weil es Frühstück erst ab 8 Uhr gab, da sagte der Mitarbeiter, dass es aber in der Küche schon Kaffee gäbe. Okay, damit hatte er mich! Zu Hause würde ich nicht einmal daran denken, das Haus ohne Kaffee zu verlassen. Also dachte ich mir, ein Kaffee kann ja nicht schaden. Sehr erfreut war ich, als ich sogar Sojamilch gesehen habe! Spitze, denn ich trinke keine normale Milch.
Im Wohnzimmer traf ich dann auf andere Pilger aus Kanada, die den zentralen Weg ausgesucht hatten. Wir unterhielten uns kurz, ehe sie sich auf den Weg machten. Der Mitarbeiter vom Empfang kam dann zu mir und wir unterhielten uns über den Jakobsweg. Er war wirklich begeistert, dass ich auf dem Jakobsweg wandern wollte und sagte, dass er das irgendwann auch mal machen möchte. Da wurde mir klar, dass ich das auch mal gesagt habe. Und jetzt sitze ich hier in Portugal auf einem Sofa, in einem Hostel und starte in wenigen Augenblicken meinen Camino.
Nach dem Kaffee ging ich also los in Richtung Kathedrale. Den Weg wusste ich von gestern noch. Es war noch nicht einmal ganz hell. An der Kathedrale angekommen ging ich also zu dem gelben Pfeil, der in den nächsten Tagen mein Begleiter sein wird. Jedoch stellte ich fest, dass in meinem Reiseführer stand, dass ich nicht dem gelben Pfeil folgen soll, sondern in die entgegengesetzte Richtung die Stufen zum Fluss Douro runtergehen soll. Okay … dann mache ich das mal. Als ich so die Stufen runterkrakselte (meine Güte das waren keine Stufen, sondern kleine Felsen), hing plötzlich eine alte Frau aus einem Fenster. Sie sagte irgendwas auf portugiesisch. Ich sagte nur „Santiago“. Aber sie wollte nicht wissen, wo ich hin will, sie wollte nur wissen, wie spät es ist …
An der Flusspromenade angekommen, nahm ich zum ersten Mal die Schönheit Portos wahr. Auch sah ich das erste Schild auf dem Boden mit dem Hinweis des Camino Portugues da Costa. Ab jetzt geht’s nur noch geradeaus, am Fluss entlang bis zum Meer. Mein Ziel ist Labruge. Etwas mehr als 20 km müssten es sein. Ich ging einfach so vor mich hin. Besuchte hin und wieder eine Tankstelle, um Pipi zu machen oder blieb mal für ein Foto stehen. Ich kam auf eine komisch aussehende Brücke zu. Also eigentlich war es keine Brücke. Es war eine normale Straße, an die einfach mal so ein Fußgängerweg über dem Fluss aus Stahl genagelt wurde. Sehr eng und darunter war nichts, außer Wasser. Beim Überqueren habe ich alle meine Sachen besonders gut festgehalten. Da war mir nicht bewusst, dass ich auf meinem Weg noch schlimmeren Brücken begegnen würde.
Mein erstes Erfolgserlebnis war die Ankunft am Meer. Da habe ich dann auch kurz Pause gemacht und einen meiner 15 Müsliriegel gegessen. Plötzlich kam ein Pilger auf ich zu und fragte: „Is this the way to Santiago?“ „Ehh I think so.“ war meine Antwort. Cool, jetzt werde ich also nach dem Weg gefragt. Gelbe Pfeile sucht man hier nämlich vergebens. Wie gut, dass ich mir eine Jakobsweg App mit GPS Route (für den Notfall) runtergeladen habe. Eine Gruppe von drei Männern verschiedenen Alters kamen an mir vorbei. Das erste Mal, dass mir jemand „Bom Camino“ gewünscht hat. Das sagt man nämlich so unter pilgern. Die Männer sahen sympathisch aus und komischerweise traf ich sie an diesem Tag immer wieder. Mal überholte ich sie, mal überholten sie mich.
Ich war an diesem Tag noch zu sehr damit beschäftigt, mir Gedanken darüber zu machen, dass ich jetzt auf dem Jakobsweg bin und vor allem habe ich alle paar Meter für ein Foto angehalten, dass ich mich gar nicht richtig mit mir selbst beschäftigen konnte. Mein Reiseführer hat mich vor dem schrecklichen Anblick einer Ölraffinerie gewarnt, die bei Matoshinos auf die Pilger wartet. Und er hatte Recht. Diese Ölraffinerie war soooo groß. So stellt man sich das Pilgerdasein nicht vor. Nach der Raffinerie wurde die Landschaft aber schöner. Es ist ein komisches Gefühl, Urlauber zu sehen, die sich mit ihren Sonnenschirmen Richtung Strand aufmachen und man selber mit dem Rucksack auf dem Rücken an all den schönen Stränden vorbeigeht. Leider war es viel zu windig und zu kalt, um in kurzer Hose zu gehen. Sobald ich mal meine Fleecejacke ausgezogen hatte, wurde mir direkt wieder kalt. Ich sie ungefähr fünf Mal an- und ausgezogen, weil ich mich nicht zwischen frieren und schwitzen entscheiden konnte. So eine Fleecejacke ist nämlich schön und gut, aber atmungsaktiv ist was anderes…
Nach Diversen Kaffeepausen und Sitzpausen (weil mir meine Füße unglaublich weh taten) bin ich in Labruge angekommen. Der Weg zur Herberge war in meinem Reiseführer gut beschrieben. Ich musste vom Jakobsweg aus eigentlich nur eine Straße hochgehen. Es kam mir schrecklich lang vor und meine Füße und Beine haben sehr geschmerzt. Ich konnte wirklich keinen Meter mehr gehen. Eiegtnlich war ich der Ansicht, dass mich mein Fitnessprogramm gut auf das Gehen vorbereitet hatte. Aber Gehen ist wohl nicht gleich Laufen. Dass meine Schuhe nicht eingelaufen waren habe ich dann auch gemerkt, dank zweier Blasen. Als ich ankam, warteten bereits vier andere Personen vor der Herberge auf die Bettzuteilung. Die Hospitalera (also die Frau, die die Herberge betreut) wies uns dann schnell ein. Sie zählte uns durch und schickte uns in den Schlafraum im Erdgeschoss. Jeder durfte sich ein Bett aussuchen. Mein Bett stand neben einem Kamin. In dem Raum roch es komisch. So zimtig. Ich war mir sicher, dass ich diesen Geruch nie wieder aus der Nase bekommen werde. Als ich so meinen Rucksack auspackte, um mein Duschzeug zu suchen, kamen drei weitere Pilger rein, die den Schlafsaal komplett machten. Und siehe da! Es waren die drei Herren, die mir den Tag über immer wieder begegnet waren. Nach der Wiedersehensfreude machte ich mich auf die Suche nach der Dusche. Es gab zwei Duschkabinen. Eine für Männer und eine für Frauen. Es gab auch zwei Toiletten. Eine für Frauen und eine für Männer. Die Tür beim Männerklo war geöffnet, sodass ich freien Blick auf einen im Stehen pinkelnden Mann hatte. Okay …
Die Dusche war kalt und abenteuerlich. Dieses feste Shampoo war gewöhnungsbedürftig. Nach dem Duschen habe ich noch meine Kleidung gewaschen und dann draußen, neben der Wäsche der anderen aufgehangen. Komisches Gefühl, dass alle anderen freien Blick auf meine aufgehängte Unterwäsche hatten.
Da in Portugal ein Feiertag war, hatte kein Supermarkt geöffnet. Jedoch öffnete ein kleiner Laden um die Ecke extra für uns Pilger, damit wir uns zumindest eine Kleinigkeit kaufen konnten. Das war wirklich unglaulich nett und die Besitzerin war sehr herzlich. Da ich keine Lust hatte, bis zu einem Restaurant am Strand zu gehen, war ich sehr dankbar, für den kleinen Supermarkt-Ausflug.
Ich habe mir dann einen Obstsalat gemacht und habe mich mit einem Bier nach draußen gesetzt, wo ich mich mit den drei Männern unterhalten habe. Die drei kamen aus Australien und waren ein Vater und seine zwei Söhne. Gestartet sind sie den Jakobsweg schon in Lissabon und wollten am nächsten Tag auf den zentralen Weg wechseln. Außerdem habe ich Paul und seine Frau aus Kanada kennengelernt. Er war wirklich sehr nett und interessiert an meiner Geschichte. Generell kam ich mit jedem schnell ins Gespräch und habe schon am ersten Tag einige Pilger kennengelernt. Mir ist aufgefallen, dass man schnell sehr persönlich wird. Ich mochte es, die Geschichten all dieser Menschen zu hören und die Gründe zu erfahren, warum sie den Jakobsweg gingen. Insgesamt habe ich noch vier weitere Deutsche kennengelernt. Ein Pärchen und zwei junge Mädels. Zwischendurch kamen immer mal wieder Pilger an, die leider abgewiesen wurden, weil unsere Herberge voll war. Ich war sehr froh, dass mir das nicht passiert ist, weil ich wirklich nicht mehr hätte gehen können. Wie schrecklich es wohl sein musste, an einer Herberge anzukommen, um dann zu erfahren, dass man weitergehen musste, weil alle Betten belegt waren. Die Herberge finanziert sich übrigens aus Spenden, die die Pilger bei der Ankunft entrichten.
Gegen 20 Uhr wurde mir kalt und ich ging in den Schlafsaal. Der Vater aus dem Dreiergespann hatte das Bett neben mir und war bereits am Schlafen und schnarchen. Ich habe mir also meine Ohropax reingemacht und habe mich in meinen Schlafsack gekuschelt (oder es zumindest versucht, denn mir war unglaublich kalt, obwohl ich schon alle langen Sachen anhatte, die ich in meinem Rucksack finden konnte).
2 Kommentare
Gundel Kriwet
Liebe Denise,
sehr unterhaltsam und spannend geschrieben und ich will mehr davon! Da ich nur ein Tablet habe, verdecken die Bilder, die zwar sehr anschaulich sind, aber leider teilweise die Texte!
Denise
Danke liebe Gundel! Ich werde versuchen, das zu optimieren 🙂
Lieben Gruß, Denise