Camino Portugues,  Jakobsweg Blog

Etappe 5: Der längste, aber schönste Tag!

Hach wie wundervoll die Nacht war! Ich teilte mir das Bett mit Nici und sie sagte, dass ich die ganze Nacht schlafend auf ein und demselben Fleck lag. Nachdem wir alle nach und nach aufwachten, sammelten wir die gewaschene Kleidung vom Wäscheständer doch .. uppss.. meine war teilweise nicht ganz trocken. Einen nassen Sport-BH wollte ich nicht unbedingt anziehen. In der Ecke entdeckten wir eine elektronische Heizung, die ich dann einschaltete und den BH darüber warf. Es roch ein wenig nach Toast aber nach dem Frühstück war dieser sogar trocken und „anziehbar“. Eine wirklich gute Sache. Nicht so gut war die Tatsache, dass wir kein Kaffeepulver hatten. Also auch an diesem Morgen keinen Kaffee. Aber daran hatte ich mich schon gewöhnt. Solange es im Vormittagsbereich irgendwann Kaffee gab, war das schon in Ordnung.

Auf dem heutigen Camino-Plan standen 30 km. Der längste Tag überhaupt. Der letzte Tag in Portugal. Morgen würden wir schon spanischen Boden betreten. Vorsichtshalber hatten wir schon in einem Hostel in Caminha, dem Zielort, Betten gebucht, damit wir nicht in Zeitdruck kamen. Denn manchmal fühlte es sich schon wie ein Wettrennen um Betten an. Nachdem die Rucksäcke gepackt waren, machten wir uns auf den Weg. Wir hatten die Wahl, es gab eine Strecke am Meer entlang oder eine Strecke durch die Berge. Wir entschieden uns einstimmig für die Strecke am Meer. (Was sich im Nachhinein als die richtige Entscheidung erwies, da ich hier den allerschönsten Tag auf dem Camino verbracht habe)

Von der Stadt suchten wir uns den Weg zum Meer, da wir heute auf die gelben Pfeile verzichten mussten. Der offizielle Weg führte nämlich durch die Berge. Am Meer angekommen ging jeder in seinem Tempo. Ralph und Alice gingen vor und unterhielten sich. Nici Sabina und ich gingen dahinter. Ich hatte heute Lust auf meine Camino Playlist und steckte meine Kopfhörer in mein Handy. Die Camino Playlist hielt überwiegend langsame Lieder für mich bereit. Ich hatte sie so zusammengestellt, weil ich dachte, dass ich hier vor Ort beim Nachdenken bestimmt langsame Musik bevorzugen würde. Allerdings war dies bisher nicht der Fall, doch die melancholische Songauswahl passte zu der Aussicht auf das Meer. Die Wellen prallten an die Felsen und ich fühlte mich so frei, wie lange nicht mehr. In meiner Melancholie dachte ich darüber nach, wann ich wohl das erste Mal weinen würde auf dem Camino. Laut Hape Kerkeling müsste jeder früher oder später auf dem Camino weinen. Doch das Bedürfnis dazu hatte ich noch gar nicht verspürt. Ganz im Gegenteil. Mein Gemütszustand hier auf dem Jakobsweg war wirklich so gut wie seit langem nicht mehr. Ich war vollkommen zufrieden und glücklich. Und auch schon ein wenig stolz auf mich, dass ich mich getraut hatte, diesen Weg alleine in Angriff zu nehmen und trotz Schmerzen schon bis hier her gekommen war. Auch über meine Begleiter war ich froh. Wir haben viel Spaß gemeinsam. Jeder kann in seinem Tempo gehen, ohne sich gedrängt zu fühlen, mithalten zu müssen und wenn man dann am Ziel angekommen ist, kann man gemeinsam essen und sich austauschen.

Nach einiger Zeit warteten Alice und Ralph auf uns, denn sie hatten, genau wie ich, große Lust auf einen Kaffee. Nach einer schnellen Google Recherche fanden wir heraus, dass es weit und breit kein Café gab. Man merkte wirklich, dass wir uns nicht auf dem Jakobsweg befanden. Ein wenig geknickt setzten wir den Weg fort. Wir kamen in eine kleine Stadt und sahen mehrere Schulbusse am Strand halten. Es stiegen unzählige Kinder aus und sie alle hatten, je nach Bus, Hüte in derselben Farbe auf. Das sah wirklich sehr niedlich aus. Wir sprachen die Busfahrer an, ob sie uns bei unserer Café-Suche helfen könnten. Leider bestätigten sie unsere erfolglose Google-Suche. Wir gingen weiter, bogen um eine Ecke und tadaaa … ein Café… Perfekt! Die Kaffeemaschine wurde gerade eingeschaltet und so schmeckte der Kaffee leider auch. Ziemlich bitter. Wir schütteten zwei Packungen Zucker hinein und tranken den Kaffee trotzdem. (Da merkt man mal, wie abhängig man davon ist …) Wie wir so in der Sonne saßen dachten wir, dass es auch schön wäre, einfach einen Tag am Meer zu verbringen. Die Sonne schien und es war bereits jetzt sehr warm. Aaaaber wir sind ja nicht zum Spaß hier *zwinker*, weiter geht’s auf dem Camino. Wir cremten uns noch mit Sonnencreme ein und wechselten von langer Kleidung auf kurze Kleidung.

Der Weg hielt für uns einen Mix aus Waldwegen und Küstenwegen bereit. Es gab einige Abzweigungen. Bei der ersten Abzweigung verloren wir Alice und Ralph. Sie mussten einen anderen Weg gewählt haben, denn wir hatten sie seitdem nicht mehr in Sichtweite. Aber wir waren uns sicher, irgendwo würden wir sie wiedersehen. Im Übrigen ist es auch erstaunlich, dass ich zu Beginn immer wieder meine Camino-App benutzt habe, um zu schauen, ob ich noch auf dem Weg war. Jetzt benutzte ich sie nicht mehr, denn ich hatte einfach ein blindes Vertrauen in mir, dass ich schon irgendwo ankommen würde.


Bevor der Weg in ein Naturschutzgebiet führte, machten Nici, Sabina und ich noch eine Pause an einer Art Food-Truck. Dort saß ein französisches Ehepaar. Keine Pilger, sondern eher Urlauber. Sie sprachen mich an und fragten, wie lange ich schon auf dem Camino war und wie weit ich bisher gegangen war. In unserem Gespräch erwähnten sie, dass sie gestern auf dem traditionellen Weg durch das Landesinnere drei Männer aus Australien getroffen hatten. Ein Vater und seine zwei Söhne. Ich konnte es kaum glauben! Es waren tatsächlich meine drei Australier aus Labruge. Sie hatten also wirklich den Weg gewechselt. Schön zu hören, dass es ihnen gut ging.

Ich trank einen weiteren ekligen Kaffee und aß eines meiner Schokobrötchen aus dem Rucksack. Der Weg führte uns nun in ein Naturschutzgebiet. Es war unglaublich schön. Sehr viele Blumen und es roch herrlich. Wir pflückten ein wenig Spitzwegerich, das sollte nämlich gegen Blasen helfen, wenn man es sich einfach in den Schuh legt. Den Tipp bekam Nici von einer Freundin. Nach einiger Zeit im Wald führte der Weg direkt zum Strand. Diesen Ausblick werde ich nie wieder vergessen. Über den gesamten Strand hinweg waren unzählige Steinkolonien gebaut. In jeder Ecke konnte man eine neue Kolonie entdecken. Wirklich das Schönste, was ich bisher auf dem Jakobsweg gesehen hatte. Den Blick weiter geradeaus auf den Weg gerichtet, sah man in der Ferne eine Stadt in einer Bucht. Auch ein wirklich toller Anblick. Das nutzten wir erst einmal für ein paar Fotos.

Wir setzten den Weg bis zum nächsten Restaurant fort, machten eine kurze Pause und kommunizierten mit Alice und Ralph. Sie waren bereits in der Stadt, die wir aus der Ferne sahen und aßen ein Pilgermenü. Wir gingen also auch weiter, da wir bisher erst ca. die Hälfte der heutigen Tagesetappe geschafft hatten und noch einige Kilometer auf uns warteten. Der Plan des Weitergehens wurde unterbrochen, da unser Weg (es waren die altbekannten Holzdielen, die entlang des Meeres führten) abgesperrt war. Wir überlegten kurz, was wir machen sollten, da es aber keinen anderen Weg gab, kletterten wir über die Absperrung und gingen über die kaputten Holzstege. Hier mussten wir wirklich aufpassen. Teilweise waren Löcher im Weg und teilweise waren die Holzdielen so locker oder morsch, dass man fast einbrach. Die Aussicht aber belohnte uns. Als der Weg endete mussten wir durch den Sand weitergehen. Mit Wanderschuhen und schwerem Rucksack auf dem Rücken war das nicht gerade die angenehmste Angelegenheit. Ein bisschen fühlte es sich an, wie durch die Wüste zu gehen.

Wir erreichten wieder die Zivilisation und sahen ein Restaurant. Dort entdeckten wir Alice und Ralph. Sie waren gerade fertig mit ihrem Essen. Wir fühlten uns schon relativ erschöpft und beschlossen, auch ein Pilgermenü zu essen, während die anderen beiden schon weitergingen. Als Vorspeise gab es eine Suppe mit einer Einlage, die wie Seetang aussah. Als Hauptspeise dann mal wieder Schuhsohlen-Fleisch mit Pommes. Ich dachte darüber nach, dass ich vor dem Camino überlegt hatte, hier Vegetarier zu werden. Doch für Vegetarier gab es hier so gut wie nichts. Zumindest die Pilgermenüs hatten immer die Auswahl zwischen Fleisch und Fleisch.

Gut gestärkt ging es weiter auf die letzten 10 Kilometerchen. Es war bereits nachmittags und sonst war ich um diese Uhrzeit schon in der Unterkunft. Ich brauchte Motivation und startete meine Sport-Playlist. Wir kamen auf eine Küstenstrecke zu, auf der gerade Ziegen ihren Auslauf hatten. Es waren so viele Ziegen dort. Wir blieben stehen und schauten ihnen zu.

Auffällig war außerdem, dass an jeder Laterne hier Reklame für das Pilger-Taxi-Boot hing. Von Caminha aus führt nämlich kein Weg nach Spanien, sondern man muss das Meer überqueren. Die Fähre kann aber nur bei einem bestimmten Wasserstand fahren, daher gab es einige private Anbieter, die sich hier bereits bemerkbar machten. Für Nici und Sabina kam ein Taxi-Boot nicht infrage. Sie wechseln nämlich morgen auf den traditionellen Weg. Dazu müssen sie am Fluss entlang bis zur Stadt Valenca und von dort zu Fuß eine Brücke nach Spanien überqueren. Ich habe auch immer hin und her gedacht, ob ich diesen Weg nehmen soll, doch das Gehen an der Küste gefällt mir so sehr, dass ich den Küstenweg in Spanien fortsetzen möchte. Alice hat sich im Vorfeld ebenfalls diesen Weg gewählt und Ralph hatte sich noch nicht für einen Weg entschieden.
Mit jedem Kilometer taten meine Füße mehr weh. Ausgerechnet heute war es auch noch besonders warm und der schöne Küstenwind blieb auch aus. So langsam verflog meine Wander-Euphorie für diesen Tag. Insbesondere weil die letzten Kilometer an einer unschönen Straße entlangführten.
Schließlich erreichten wir gegen 18 Uhr Caminha. Nici stellte an ihrem Handy die Route zum Hostel ein. Während sie damit beschäftigt war, sprachen uns zwei einheimische Männer an, es waren Vater und Sohn. Der Vater versuchte eindeutig, eine Braut für seinen Sohn zu finden, da er ihn vor uns anpries. Wir witzelten ein wenig mit ihnen rum und quälten uns dann weiter Richtung Hostel.

Nur noch 400 Meter … das waren die längsten 400 Meter in meinem Leben. Die Füße taten weh (was nach 30 km wohl auch normal war), aber ich war so froh, dass meine Hüfte wirklich vollkommen in Ordnng war. Ich hatte diese doofen Schmerzen nicht mehr, was ein Glück! Das Hostel war direkt an einem Marktplatz mit einigen Restaurants. Sehr praktisch. Leider war dort eine riesige Bühne aufgebaut und wir ahnten schon Schlimmes. Der Hospitalero war wirklich sehr nett. Er sah uns an, wie fertig wir waren und versuchte uns schonend beizubringen, dass das Hostel sonst immer ganz ruhig gelegen war aber ausgerechnet heute würde draußen ein Schülerband-Contest stattfinden. Die Veranstaltung würde ungefähr bis Mitternacht gehen. Oh yeah…
Er führte uns zu unserem Zimmer und nahm mir sogar meinen Rucksack ab. Im Zimmer wartete schon Alice auf uns. Wir hatten ein Viererzimmer für uns Mädels gebucht und Ralph hatte ein Bett in einem Gruppenschlafsaal. Nachdem wir uns frisch gemacht hatten, gingen wir auf den Marktplatz um zu Abend zu essen und unseren letzten gemeinsamen Abend ausklingen zu lassen. Ralph und ich teilten uns zum Essen einen Liter Sangria, in der Hoffnung, dass wir dann gut einschlafen können. Die Stimmung zwischen uns allen war sehr gut und entspannt. Ich wurde bereits etwas wehmütig, dass wir uns morgen trennen würden. Abschiede sind nicht mein Ding…



Nach dem Essen ging Ralph noch mit auf unser Zimmer, weil er sich noch nicht sicher war, welchen Weg er morgen einschlagen sollte. Wir unterhielten uns noch zusammen und hörten Musik. Ralph spielte meine zwei bisherigen Favoritensongs ab: Shallow gecovert von Boyce Avenue und Thursday von Jess Glyne. Keine Ahnung, wie oft ich die beiden Songs in den letzten Tagen gehört hatte.
Er präsentierte uns dann noch stolz seine Deutschkenntnisse, indem er Rammstein Lieder mitsang. Irgendwann waren wir zu müde und jeder verzog sich in sein Bett. Der Bandcontest draußen lief auf Hochtouren. Also schnappte ich mir meine Ohropax. Sobald ich die drin hatte, bekam ich wirklich nichts mehr mit und schlief wie ein Stein bis zum nächsten Morgen.
        

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