Etappe 12: Ich habe nichts gesucht und doch so viel gefunden
Good morning! Wir starten wie immer gut gelaunt in den Tag! Das liegt sicher auch an dem guten Bett, hehe. Mein Fuß hat sich heute wieder eingekriegt. Also gehts los. Let’s hit the camino one last time. Wir haben bloß 6 km zu absolvieren. Stress kennen wir also nicht. Ein Bett in einem Hostel haben wir uns alle bereits gebucht. Spontan bekommt man in Santiago nämlich keine Schlafmöglichkeit.
Die 6 km gehen sich leicht. Ziemlich schnell erreichen wir die Tore von Santiago. Da kommt eine Abzweigung. Links oder rechts? Wir entscheiden uns für links und man merkt sehr schnell, dass wir uns in einer Großstadt befinden.
Um die Tradition zu bewahren, suchen wir uns ein Café und bestellen uns unsere morgendliche Koffein-Dosis. Auch brauchen wir ja noch einen Stempel. Zwei pro Tag müssen im Pilger-Pass sein, damit wir unsere Compostela bekommen. Dabei handelt es sich um ein Dokument auf Latein, dass uns bescheinigt, den Jakobsweg gegangen zu sein. Den letzten Stempel werden wir im Pilgerbüro in Santiago bekommen.
Je näher wir der Altstadt kommen, desto voller wird es. Hier treffen alle Pilger aufeinander. Egal, welchen Jakobsweg sie gewählt haben. An der Kathedrale in Santiago ist für alle das Ziel erreicht. Dennoch dauerte es gefühlt eine Ewigkeit, bis wir endlich die Altstadt betraten. Nur noch wenige Schritte…
Leider sahen wir keine gelben Pfeile mehr. Tatsächlich irrten wir durch die schmalen Gassen und fanden die Kathedrale nicht… Dann stehen wir plötzlich vor einer Kirche. Sind wir da? Fühlt es sich so an? Nein … falsche Kirche … Also weiter suchen. Mitten im Getummel sah ich plötzlich drei bekannte Gesichter! Nicht wahr! Das sind die drei Australier vom Beginn meines Weges! Wir fielen uns sofort in die Arme! Die drei waren bereits gestern angekommen. Wir unterhielten uns kurz und dann setzten wir den Weg zur Kathedrale fort. Jetzt sind wir auf dem richtigen Weg. Wir können den Turm sehen… müssen nur um eine Ecke biegen und dann: Ein riesengroßer Platz, bevölkert von unzähligen Menschen und da ist sie. Die Kathedrale. Wunderschön von der Sonne angeleuchtet. Das Ziel. Ich habe es geschafft. 300 km bin ich bis hierher gegangen. Es fühlt sich unglaublich an. Ich bin so dankbar, froh, glücklich. Keine Worte der Welt können das beschreiben. Nici und ich schauen uns an und wir beide weinen vor Freude. Überglücklich nehmen wir uns alle in den Arm.
Überwältigt von unseren Gefühlen müssen wir uns erstmal setzen. Genau wie viele weitere Pilger, die nach und nach auf den Platz kommen. Und was jetzt? Wir beschließen folgenden Plan: Wir gehen zum Pilgerbüro und holen uns unsere Compostela ab (Das kann schon mal 90 Minuten dauern) und danach werden wir ein schönes Mittagessen zu uns nehmen. Wir bahnen uns also den Weg durch die Menschenmengen zum Pilgerbüro. Davor steht eine Gruppe Touristen. Eine von ihnen schaut mich an: „Oh did you just arrive, wow!“ Sie gratuliert mir und schaut mich bewundernd an. Unfassbar.
Im Pilgerbüro herrscht wildes Treiben. Es ist relativ voll und wir müssen das Ende der Schlange suchen. Brav stellen wir uns an. Da sehen wir bekannte Gesichter von unserer Kloster-Übernachtung. Einer von denen dachte die ganze Zeit, dass Nici und ich Schwestern wären. Hihi, auf jeden Fall Schwestern im Herzen!
Es geht recht schnell vorwärts in der Schlange. Da sehen wir auch René! Gemeinsam mit ihm und Alice waren wir in Marinhas essen.
Dann bin ich als nächste dran, in das Pilgerbüro zu gehen. Ein wenig sieht es aus, wie in einem normalen Bürgeramt. Ich gehe zu einer freien Mitarbeiterin. Sie verlangt meinen Pilger-Pass und meinen Personalausweis. Dann muss ich mich noch in eine Liste eintragen und ihr sagen, welchen Jakobsweg ich gegangen bin. Außerdem wird mir die Frage gestellt, aus welchen Gründen ich den Jakobsweg gegangen bin. Anschließend händigt sie mir meine Compostela aus. An einem weiteren Stand kaufe ich noch eine Transportrolle für das kostbare Dokument.
Draußen treffe ich auf die anderen. Wir müssen uns ertsmal Zeit nehmen, um das Dokument anzuschauen. Wir hätten total gerne an einer Messe in der Kathedrale teilgenommen, leider wurde diese zu der Zeit renoviert und man durfte nicht reingehen.
Also haben wir uns ein schönes Restaurant gesucht und ein leckeres Mittagessen bestellt. Der Kellner hat uns als erstes allen einen Schnaps ausgegeben. Sehr sympathisch. Nici hat in der Zwischenzeit heimlich eine Flasche Sekt bestellt, die er uns daraufhin an den Tisch bringt.
Nach dem Essen kehren wir zur Kathedrale zurück, um ein paar Fotos zu machen. (Das muss einfach sein!) Hier eine kleine Auswahl:
Nach der Fotosession haben wir unser Hostel bezogen. Leider waren unsere Betten nicht im selben Zimmer, sondern im ganzen Haus verteilt. Keinen von uns hielt es dort lange, sodass wir beschlossen, uns die Stadt anzusehen. Neben der Altstadt erkundeten wir auch die Neustadt. Hier gab es unzählige Geschäfte und die Verlockung, etwas zu kaufen, war sehr groß. Zum Glück hatte ich keinen Platz mehr im Rucksack, konnte also auch nichts kaufen. Gegen Abend verschlag es uns in ein sehr feines Restaurant. Wir wollten einfach mal wieder gut essen. Wir bestellten Wein für uns alle und aßen dann ein sehr leckeres Steak. Zum Nachtisch holten wir uns noch ein Eis. Ja, es hätte uns schlechter treffen können.
Das war nun wirklich unser letzter Abend. Nici und Sabina werden morgen nach Hause fliegen. Kurze Einordnung: Heute ist Freitag. Mein Rückflug war erst am Dienstag. Ich hatte nämlich ursprünglich noch geplant, nach Fisterra (das Ende der Welt) zu fahren. In Fisterra befindet sich der Kilometerstein mit 0 km und da wollte ich unbedingt hin. Da Ralphy gerade sowieso am Herumreisen war und keinen Druck verspürte, nach New York zurückzukehren, beschloss er, mit mir mitzufahren.
Mit unserem Eis schlenderten wir zur Kathedrale. Irgendwie zog es uns immer wieder dorthin zurück. Wie sich herausstellte, war da eine Party in vollem Gange. Eine spanische Band spielte und drumherum tanzten die Menschen. Wir gesellten uns dazu und verbrachten einen tollen Abend.
Das war er also, mein Jakobsweg. Und das alles habe ich erlebt, weil ich mir sagte: Scheiß drauf, buch jetzt einfach den Flug und mach das! Es hätte für mich kein besseres Erlebnis sein können. Gestartet bin ich alleine. Gewillt, den gesamten Weg alleine zu gehen. Doch dann traf ich vier wunderbare Menschen. Alice habe ich leider nicht mehr wiedergesehen. Doch mit den anderen hatte ich eine wundervolle Zeit. Wir alle haben den Weg alleine begonnen. Doch gemeinsam sind wir angekommen. Ehrlich gesagt kam mir nie in den Sinn, den Weg alleine fortsetzen zu wollen. Denn wie heißt es so schön: Der Weg gibt dir nicht, was du willst, sondern was du brauchst. Und genau das habe ich gebraucht. Ich hatte unglaublich viel Spaß. Habe sehr viel über mich nachgedacht. Bin mir viel klarer über einige Fragen in meinem Leben geworden. Und vorallem bin ich mir selbst viel klarer geworden. Dieses Gefühl, was ich auch jetzt noch habe, wenn ich an den Camino denke, ist unbeschreiblich. Mich erfüllt dann jedes Mal eine Welle von Dankbarkeit, Mut und Liebe. Ich bin so froh, dass ich auf mein Herz gehört habe und einfach losgegenagen bin. Ich bin total stolz darauf, dass ich mit diesem Blog sogar manchen Menschen Mut gemacht habe, den Schritt zu wagen und den Weg zu gehen. Ich hätte nie gedacht, dass so viele Menschen interessiert sind, das alles hier zu lesen. Freut euch also noch auf weitere Artikel zu meiner Zeit nach dem Camino, die restliche Zeit in Spanien und natürlich zu Hause.
Hugs and kisses, eure Nisi!
3 Kommentare
Bärbel Vinke
Liebe Denise .ich habe deinen Block mit grossem Interesse gelesen und bin total begeistert. Bin stolz auf dich ,dass du solch einen Weg gemacht hast. Deine Tante Bärbel
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Caroline
Ein wundervoller Bericht. Für mich war mein Camino eine unbeschreibliche Zeit. Man muss den Camino laufen, um den zauber zu verstehen. Nun plane ich schon den nächsten Camino. Danke Dir für diesen Blog!