Etappe 11: Der Tag vor Santiago
Als ich aufwachte, war ich doch sehr verwirrt. Wo war ich? Dann fiel es mir wieder ein … Achja, heute erwache ich in einem Kloster. Mein Blick fiel auf meinen Rucksack. Ich hoffte einfach, dass keine Tiere hinein gekrabbelt waren.
Auf dem Gang war schon ordentlich gewusel. Ich stand auf und plötzlich .. aaauuuaaa! Was war mit meinem Fuß? Meine Hacke tat so weh, dass ich nicht auftreten konnte. Au weiha… Irgendwas war hier passiert. Zum Glück fiel mir sofort eine Lösung ein. Ich holte ein wenig Verband aus meinem Rucksack und wickelte es mir um die Hacke. Das Ganze fixierte ich mit meinem Tape und schon konnte ich wieder problemlos auftreten.
Ich gesellte mich zu den anderen an den Frühstückstisch und beschloss, nur einen Kaffee zu trinken. Ralphy gab mir freiwillig seinen noch vollen Becher. Nach einem Schluck wurde mir auch klar, warum. Aber was solls. Hauptsache Koffein (Ja, möglicherweise bin ich doch ein wenig abhängig…)
Mit meinem Hackenpolster warf ich mich in meine Schuhe, Rucksack auf und los gehts. Ich hatte mich schon so an den Tagesablauf gewöhnt, dass ich mich fragte, wie es wohl werden würde, wenn wir in Santiago ankommen. Wenn man morgens aufwacht und kein Ziel vor Augen hat.
Wir setzten also den Weg fort und verabschiedeten alle, die heute Santiago erreichen würden. Unser Ziel hieß: O Milladoiro. Eine Stadt, 6 km von Santiago entfernt. Wir buchten uns wieder ein airbnb. Wir wollten uns einen richtig schönen letzten Abend machen. Und außerdem planten wir noch den Film „The way“ gemeinsam zu schauen.
Das Wetter war heute wieder gnädig, sodass die Regencapes im Rucksack bleiben konnten.
Unser Ziel war jetzt erstmal die Stadt Padron. Dort wollten wir, wie immer, Ausschau nach einem richtigen Frühstück halten. Kaum waren wir dort angekommen, lachte uns ein Café an. Wir gingen rein und wurden von lautstarker 90er Musik begrüßt. Perfekt!
Wir bestellten uns Frühstück und vor lauter guter Laune und Rumgesinge vergaß ich total, mein Sandwich zu essen. Langsam konnte ich aber auch echt keine Sandwiches mehr sehen…
Eigentlich wollte ich das Café am liebsten nicht mehr verlassen, aber wie das so ist: Der Camino ruft…
Einen weiteren Lichtblick gab es nämlich noch am Essenshimmel. Bereits vor dem Camino folgte mir ein Café auf Instagram, dass sich auf gesunde Snacks spezialisiert hatte. Es heißt mamba jamba und liegt am Kilometerstein 15. Dies wollten wir heute unbedingt ansteuern, denn beim Gedanken an ein leckeres Avocado-Brot lief uns allen das Wasser im Mund zusammen.
Schnellen Schrittes setzten wir also unseren Weg fort. Wir nahmen uns außerdem heute auch mal die Zeit, in verschiedene Kirchen einzukehren und diese zu besichtigen. In einer besonders schönen Kirche fragten wir auch nach einem Stempel für unseren Pilger-Pass. Dazu mussten wir in den Raum hinter dem Altar gehen. Ich weiß noch, wie ich Ralphy ansah, als er dort in einem Sonnenstrahl stand und total am dampfen war. Ich musste sofort lachen und mich fragen, ob er ein Vampir war und gleich in Flammen aufgehen würde. (Ein bisschen gaga wird man schon auf dem Camino).
Als wir mal wieder irgendwo im Nirgendwo unterwegs waren, begann ich über den gestrigen Tag nachzudenken. Über das, was in der Messe gesprochen wurde, über das Buen Camino von dem Mönch und dass dieses Abenteuer bald vorbei sein würde. Da passierte es tatsächlich. Die Tränen liefen wie ein Sturzbach aus meinen Augen. Ralphy unterhielt sich über irgendetwas mit mir, was ich gar nicht mitbekam. Er schaute mich nur plötzich ganz geschockt an, war dann aber ruhig. Nici und Sabina gingen weiter vor uns, sodass ich mich einfach mal diesem Gefühl hingeben konnte. Letztlich weiß ich nicht, was die Tränen ausgelöst hatte, aber es fühlte sich sehr befreiend an.
Als ich mich wieder eingekriegt hatte, tauchte eine Katze auf der Straße auf. Sie kam regelrecht auf mich zugerannt. Ich blieb stehen und streichelte sie. Da kam ein Auto und ich ging zur Seite. Sie folgte mir und versteckte sich unter mir vor dem Auto. Was war nur mit mir und den Tieren hier auf dem Camino los?
Der Weg wurde immer voller. Man merkte echt, dass wir uns Santiago näherten. Irgendwie verspürte ich das Bedürfnis, alle meine Gedanken zu notieren. So tippte ich einige Zeit alles in mein Handy, was mir in den Sinn kam. Ich hatte das Gefühl, dass ich diese Gedanken festhalten musste und niemals vergessen dürfte. Ich merkte wirklich, wie sich meine Gedanken veränderten. Vom Beginn des Caminos bis jetzt. Alles wurde viel sanfter. Ich verspürte eine riesige Welle Dankbarkeit in meinem Herzen. Genau das wollte ich mir bewahren und tippte echt wie bekloppt auf meinem Handy rum.
Und dann waren wir endlich im Avocado-Paradies angekommen! Das mamba jamba war eine richtig süße Hütte, im Nichts. Wir planten hier also eine ausgedehnte Pause. Ich bestellte mir ein Avocado-Lachs Brot und einen Coffee Frapuccino. Leider gestaltete es sich eher schwieirg, das Brot mit dem beigelegten Papier-Messer zu schneiden. Irgendwann gaben wir also auf und aßen mit den Händen.
Besonders cool fand ich, dass man sich hier verewigen konnte. Es gab Stoffschnipsel, auf die man seine Wünsche notieren und diese dann an dem Zaun vorm Gebäude befestigen konnte. Natürlich habe ich mir auch etwas gewünscht.
Ralphy massiert fremde Leute…
Nach dieser gesunden Pause ging es dann weiter.
Diesen Vitamin-Schub brauchten wir auch, denn tatsächlich ging es nur noch bergauf!
Doch nach einiger Zeit war es geschafft und wir hatten das heutige Ziel erreicht. O Milladoiro war wirklich sehr erstaunlich. Die Gebäude sahen alle gleich aus. Als wären sie alle zur selben Zeit erbaut, sehr modern. Daher verliefen wir uns auch auf der Suche nach unserer Wohnung. Schließlich fanden wir sie und checkten ein. Es gab mal wieder eine Waschmaschine, sodass wir alle unsere gesamte Kleidung hinein steckten. Passend zu unserem geplanten Filmabend, hatten wir Lust auf Pizza. Also stiefelten wir los, in den örtlichen Froiz-Supermarkt und besorgten Bier, Sangria, Schokolade, Chips und Süßigkeiten. Danach suchten wir dann die örtliche Pizzeria auf. Der Pizzamann brauchte ungelogen über eine Stunde, um vier Pizzen fertig zu machen. In der Wohnung angekommen, schloss Ralphy seinen Laptop an und wir aßen Pizza und schauten „The way“.
Immer noch „aua Fuß“
Danach saßen wir noch lange im Wohnzimmer und haben uns den Bauch mit Süßigkeiten vollgeschlagen. Sabina surfte im Internet und hatte einen Artikel gelesen in dem Stand, dass in dem Waldstück, wo der Messermann (Grandpa) war, es einen Tag nach unserem Durchqueren dort wieder einen Angriff gegeben hatte. Anscheinend hatten wir wirklich Glück gehabt.
Kaum zu fassen, dass wir morgen Santiago erreichen werden. Ein wunderschönes Abenteuer endet dann. Wie wird es sich wohl anfühlen?